10.08.2013

Genußtour ins Midi (3) Der Lange Hund...



Passend zum Sommer: Eine Genußtour das Rhonetal hinunter ins Midi. In diesem Jahr leider nur virtuell, ein anderes Ziel steht auf der Reiseagenda. Darum ist auch der dritte Teil ein (wein)genußreiches Puzzle, zusammengesetzt aus Reisen der letzten Jahre.

Nach einem Aufenthalt in Lyon (klick) und einer Fahrt die Rhone herunter (klick), müssen wir uns jetzt entscheiden, ob es von der Autoroute du Soleil nach Westen oder nach Osten gehen soll. Es ist die Entscheidung zwischen Provence und Languedoc. In den letzten Jahren habe ich mich immer mehr für die Provence entschieden. Deshalb soll es jetzt zuerst einmal in das vor allem jenseits der Küstenebene immer noch wilde und dünnbesiedelte Languedoc gehen. Und eines ist gleich sonnenklar - egal ob man der A9, der Languedocienne, folgt oder die kurvigen Landstraßen befährt: Es geht unübersehbar durch den Wein.

Vom rechten Ufer der Rhône bis an den Fuß der Pyrenäen reicht das größte zusammenhängende Weinanbaugebiet der Welt mit mehr Ausstoß als Bordeaux, Australien, Südafrika und Chile zusammengenommen. Ein beträchtlicher Teil der europäischen Weinüberschußproduktion wird hier Jahr für Jahr eingefahren und gekeltert. Die Masse stammt von Rebstöcken in den Ebenen, die in den sonnensatten Sommern kräftig tragen, verarbeitet von Genossenschaften und großen Weinkonzernen. Ein Weinsee, den in dieser Menge niemand braucht, den keiner leertrinken kann.


Kein Benzintanker, hier wird Wein transportiert

Die Weinbauern dort haben seit 100 Jahren den täglichen Weinkonsum der Franzosen sichergestellt und damit einen verdienstvollen Beitrag zur Ernährung der Bevölkerung in den industriellen Zentren des Nordens geleistet. Seit 30 Jahren ist die Massenerzeugung aber in der Krise. Seit Jahren wird deshalb großflächiger Rückbau betrieben, die Bestockungsrechte werden reduziert. Nicht einfach, weil der Rebbau nach wie vor ein wichtiger Beschäftigungssektor im Süden ist. Die Weinbauern sind eine einflußreiche soziale Kraft, die auch auf eine lange Reihe militanter Proteste zurückblicken kann. Da werden auch schon mal in Supermärkten die Regale mit Überseewein geplündert.

Während viele kleinere Winzer auf Klasse statt Masse setzen und mittlerweile jede Menge gesuchte (Kult)weine produzieren, die mehr oder weniger problemlos nachgefragt werden, müssen sich die Massenerzeuger etwas einfallen lassen. Heraus kommen natürlich bestenfalls Weine, die keinen besonderen Terroiranspruch haben, die Zielgruppe sind hier auch gar nicht die "Weintheoretiker". Hier mal ein schönes Beispiel zu dem man sagen muß: Alles richtig gemacht. Originelle Aufmachung, Schraubverschluß, frische, saubere, nicht übertriebene Fruchtaromatik, Alkoholgehalt moderat.


Topidee: Der lange Hund


Einen Ausweg mit viel Marketing läuft auch seit 2006 unter dem Label Sud de France. Es wird staatlicherseits versucht, eine für den Konsumenten griffige Dachmarke für Wein aus dem Midi zu schaffen, flankiert durch lokale Kulinarikprodukte.

Eine andere Liga sind natürlich die schon erwähnten individuellen Winzer. Sie haben die Anfang der achtziger Jahre einsetzende Languedoc - Qualitätsoffensive getragen. Die Trendsetzer waren Um- und Einsteiger, Tüftler, Individualisten. Rebflächen, vor allem an den schwer zu bearbeitenden Hängen mit kargen flachgründigen Oberböden, konnten günstig übernommen werden. Die Umbaudynamik hält bis heute an, immer noch erfüllen sich hier Newcomer ihren Winzertraum. Exemplarisch sei hier nur die Domaine Virgile Joly aus Saint Saturnin am Herault genannt. Die (Gründungs)geschichte und damit auch viel über das Winzerleben im Languedoc ist in einem schönen Buch von Patrick Moon beschrieben: "Virgile's Vineyard: A Year in the Languedoc Wine Country" (klick).





Trendsetzer für alle war natürlich Aimé Guibert mit seinem Daumas Gassac in Aniane. 1978 war der erste Jahrgang, der auf Mas de Daumas Gassac produziert wurde, unter Beratung des damaligen "Star-Oenologen" Emile Peynaud aus Bordeaux, einer Art Vorgänger von Michel Rolland. Anfang der 80er begann die Weinszene auf Daumas Gassac aufmerksam zu werden. Gutes Marketing kam dazu, zudem der Nimbus des Newcomers aus einer Underdog-Region. Der Gault Millau titulierte den Gassac gar als „Lafite des Südens". Wie auch immer, alles was aus dem Languedoc danach kam und kommt, steht durchaus auf den Schultern von Aimé Guibert.
Der ist übrigens bis heute ein kantig-knorriger Streiter für den Wein als regional verankertes Naturprodukt. Im Jahr 2000 erlangte Aniane Bekanntheit, als die Mondavis hier ein Weingut etablieren wollten. In der Bevölkerung formierte sich Widerstand, die Kalifornier zogen sich zurück. Anzuschauen ist das in Jonathan Nossiter herrlicher Dokumentation Mondovino. Gleich am Anfang gibt es da ein Interview mit einem grantelnden Aimé Guibert: "le vin est mort..." Der Trailer bei you-tube hier (klick).
Ein Großteil (80%) der Weinberge ist mit alten, ungeclonten Cabernets bepflanzt - diese inzwischen schon 40 Jahre alten Reben erzeugen auf natürliche Weise nicht mehr als 35hl/ha. Daneben gibt es Parzellen mit Malbec, Merlot, Cabernet Franc, Syrah und vielen weiteren Rebsorten. Das Mikroklima ist kühl inmitten des heißen Languedoc, angestrebt wird nicht der opulent-fruchtige Stil, man setzt eher auf Feinheit und Komplexität. Die Weine gelten als sehr gut lagerfähig.





Ganz in der Nähe von Aniane, im schon eben erwähnten Saint Saturnin, habe ich 1996 mal zwei Wochen verbracht. Das liegt bei Clermont l ´Herault schon an den südlichen Ausläufern der Cevennen. Es war Ende September, die Ernte war im vollen Gange. Laute Lesemaschinen sausten durch die Reben, Trecker mit großen Anhängern transportierten die Trauben tonnenweise über die kurvigen Landstraßen. Ein Geruch von Most war in der Luft.

Das Haus lag mitten im Dorf, ganz eng und verwinkelt, dreimal so hoch wie breit, die Rückfront war Teil der Rempart, der alten Ringbefestigung des Dorfes. Das Dach war teilweise für eine Terrasse geöffnet. Von da hatte man einen schönen Blick auf die Rundschindeldächer, um den quadratischen Kirchturm mit seinem offenen Glockengestell zirkelten die Mauersegler. In der Ferne lag die weite weinsatte Ebene. Auf der funkelten am Abend die Lichter der umliegenden Dörfer, am Himmel stand der Orion, im Ohr das Brüllen der Zikaden...
Am Horizont nach Süden hin eine kleine Berglinie, kurz dahinter begann schon die Küste bei der Hafenstadt Sete.



Es ist eine großartige Stadt, praktisch an allen Seiten vom Wasser umgeben. Auffallend der charakteristischen Hügel, der Mont St. Clair. Es ist die Geburts- und Heimatstadt von Georges Brassens, dem großen Poeten und Sänger. Der hatte sich ja in einem Chanson gewünscht, am Strand von Sète begraben zu werden ("Supplique pour être enterré à la plage de Sète"). An seinem wirklichen Grab, nicht auf dem Cimetiére Marin, sondern auf dem für die Armen der Stadt, direkt am Etang de Thau, sind wir damals auch gewesen.




Ansonsten gab es Fahrten in das wildromantische Hinterland, zu den Cirques des Navarcelles, an den Lac du Salagou und zum Pont du Diable am Herault, wo man gut im Fluß baden konnte.
Weine kamen hauptsächlich von der örtlichen Cave Cooperative ins Glas. So war das damals, man trank ortsverbunden von den Genossen. Die hatten als Spitzenwein den Seigneur des Deux Vierges, den gibt es immer noch. Nichts Anzügliches zuvörderst: Der Wein ist benannt nach dem charakteristischen Fels hinter dem Dorf, dem Roc des Deux Vierges. Da sollen tatsächlich mal zwei Jungfrauen gelebt haben, um näher am Himmel beim lieben Gott zu sein. Meistverkaufter Wein der Genossen ist allerdings der Vin d'Une Nuit. Wiederum ein poetischer Name. Der ist mir sogar mal ein paar Jahre später im Sortiment des kleinen Einkaufsladen im Camping Vliegenbos in Amsterdam begegnet. Natürlich, denn zum Gras gehört nunmal auch ein unkomplizierter, süffiger Roter.


Blick auf Saint Saturnin mit dem Roc des Deux Vierges
im Hintergrund. In Gegenrichtung geht es nach Jonquières

Bekannte Qualitätsnester um Saint Saturnin herum sind, neben Aniane, auch Montpeyroux und Jonquières. Aus diesem kleinen Dorf kommt ein Prägender für die Region: Olivier Jullien. Mit seinem Mas Jullien hat er ähnliche Schrittmacherfunktion wie z. Bsp. Gauby im Roussillon.

Die bekannten Languedoc - Gebiete Minervois, St.Chinian und Faugeres liegen etwas weiter westlich. Die kenne ich durch sommerliche Touren. Im Minervois haben wir 2005 mal ein rustikales Ferienhaus gemietet und ringsum einige Weingüter besucht. Ergebnis und Höhepunkt war eine Verkostung einiger Spitzen. So läßt es sich gut aushalten im sonnigen Süden.




Probe im Minervois, auch am Grill sollte
immer eine große Auswahl vorrätig sein.



Auch ein Besuch in Carcassonne stand auf dem Programm. Ein faszinierender Ort, aber in der Saison leider total überlaufen. Zum ersten Mal war ich dort 1994 auf einer Tour mit einem kleinen roten Kadett. Der kleine Bochumer zog unermüdlich seine Kreise auf seiner letzten großen Fahrt. In Lourdes empfing er durch Heiliges Wasser auch den Segen der Gottesmutter (klick hier).
Da schien mir der Anblick der Mauern und Zinnen der mittelalterlichen Stadt wie eine Filmkulisse, hatte etwas Unwirkliches.




Südlich schließt sich das Corbieres an. Wildromantisch, dünnbesiedelt, Heimat der Wildschweine, die sich in der heißen Strauchheide tummeln. Auch dort jede Menge interessante, individuelle Winzer. Am Nordrand der Corbieres liegt zudem Limoux mit seinen Weißweinen und Schäumern.

Zu Füßen der Pyrenäen schließlich das Roussillon. Die Weine der AOC Roussillon sind eine Klasse für sich. Hier werkeln viele Genossenschaften. Aber auch eine Riege von sehr individuell-handwerklich arbeitenden Weintüftlern. Ein Qualitätspionier und immer noch Schrittmacher für die Weine des Roussillon weltweit ist Gérard Gauby in Calce. Gauby war nie Routinewinzer, sondern ein Suchender, ein Experimentator. Er hat komplett auf biodynamischen Anbau umgestellt. Die Aromatik seiner Weine geht seit einigen Jahren weg von Überkonzentration, Holz und süßem Schmelz. Sein Flagschiff Muntada setzte preislich für die Region Maßstäbe nach oben und brachte trotz mächtiger Konzentration auch Feinheit und Frische ins Glas.




Gerade in letzter Zeit machen dort ein paar neue Namen von sich reden. Immer wieder auch Quereinsteiger, wie die Domaine des Enfant (klick) mit absolut ausgereizten Qualitäten.
Der Schweizer Marcel Bühler kommt aus dem Finanzbereich, er und sein Team gehen fundamentalistisch und kompromißlos an die Sache heran. Statt von Kapitalanlage ist hier von "Selbstwerdung" die Rede. Zitat aus der Homepage: "Die Gründung der Domaine des Enfants entstand als Antwort auf eine persönliche Sinnkrise. Die Realisierung eines Traumes: Selbstwerdung, im Einklang mit sich selbst, anderen und der Natur zu sein. Dementsprechend sind unsere Weine das Resultat unseres Arbeitens in und mit der Natur. Die Liebe und Energie, die wir in die Pflege dieser kraftvollen und aussergewöhnlichen Rebstöcke investieren, gibt uns Ruhe und Zufriedenheit. Zu beobachten, wie diese genügsamen Pflanzen unter unserer Fürsorge erstarken und gedeihen, ist Belohnung und erfüllt uns mit Stolz. Mit unserer Arbeit wollen wir unsere Kreativität ausleben und etwas ausserordentliches Erschaffen, was uns und anderen Menschen Freude bereitet, sie einander und sich selbst näher bringt. Wir hoffen, mit unseren Weinen, unseren Ideen und Vorstellungen immer wieder neue Menschen anzusprechen und vielleicht auch zu berühren."
Das Ganze ist sehr ambitioniert, dazu passt die Preisgestaltung. Schon der Einstiegsrote kostet 24 € und liegt damit im Bereich sehr guter Crus von der südlichen Rhone:



Auch die Domaine Horizon fällt in diese Kategorie. Thomas Teibert ist ein barock-salopper Typ mit roter Hose und Hosenträger und macht Wein im Hinterland von Perpignan. Es fallen schon rein äußerlich Ähnlichkeiten mit Gerard Gauby auf. Und tatsächlich gibt es eine, sogar sehr enge Verbindung: Teibert und die Tochter von Gauby haben ein gemeinsames Kind. Nun, die Teibertschen Reben haben Meerblick, deshalb der "Horizont." Preislich sind die Weine nicht schüchtern kalkuliert, schon der rote Einsteiger Esprit de l ´Horizon kostet 19,50€. Für den Domaine de l ´Horizon werden 33€ fällig. Beide sind aber top, der neue Südstil ohne Überkonzentration, delikate Frucht, trotzdem natürlich genug satte Sinnlichkeit und Schmelz, sehr gut.



Eine Neuwinzerin in diesem Sinne ist auch Katie Jones. Die Engländerin war 17 Jahre für Weinexport und Marketing der großen Mont-Tauch Kooperative zuständig. Die kontrolliert mehr als 50% der gesamten Produktion der gesamten AOC Fitou: 15 Millionen Flaschen Wein per Annum! Weinbauern, die ihren Rebberg aufgeben wollen oder altersbedingt müssen, gibt es da natürlich immer wieder. Bei 2.7 Hektar, ganz in der Nähe der alten Katahrerfestung Queribus, griff Katie Jones zu. Die Parzellen waren nämlich bestockt mit bis zu 70 Jahre alten Grenachereben. Katie gab ihren sicheren Job im Sommer 2009 auf, im Herbst arbeitete die Domaine Jones schon an ihrem ersten Jahrgang. Dabei stellte sich heraus, daß nicht alle angelieferten Trauben rot waren, in den Parzellen wuchs auch Grenache Gris und eine sehr kleine Menge Muscat.



Als wüchsen die Mauern aus dem Fels: 
Peyrepertuse, die größte Festungsanlage der Katharer




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